Georg von Oertzen                In der Morgenstunde

 

Der Sage Liebling, goldner Grund der Treue,

Herzblutbetaute Wahlstatt vieler Ehre,

Des Fleißes Schule, Schirmburg der Altäre,

Versunken halb, wie blühest du auf’s Neue!

 

Und über dir, mein Deutschlang, hoch zur Bläue

Des klarsten Himmels schwebt dein Adler. Hehre

Botschaft dem Erdkreis durch erstaunte Meere

Die Wimpel tragen, und er hört’s voll Scheue:

 

Germania, die Fürstin, hub die Stirne,

Aus deren Haus, von deren Ingesinde,

Dieweil sie schlief mit Fiebertraum im Hirne,

 

Fort Mancher zog, daß er die Heimath finde.

Nun schallt ihr Wort im Thal, am Gletscherfirne

Und ruft, wie starke Mutterlieb dem Kinde.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Trotz der Schlagbäume

 

Und wer im kühlen Fächerspiel der Palmen

Sein Dach vergaß, an dem die Schwalbe nistet,

Und wer von Sorgen matt ein Leben fristet

Im ewgen Werktag unter Dampf und Qualmen,

 

Ja wessen Zähne Bettlerbrot zermalmen,

Wem nie das Herz die Trägheit überlistet,

Dem jubelt’s heut: Euch ward, was Ihr vermißtet,

Das Vaterland. Auf, stimmet Freudenpsalmen!

 

Und scheiden sich auf Viertelstunden Weges

Ausländchen noch und dräuen wie zum Hohne

Grenzpfähle rings buntscheckigen Gepräges,

 

Wo lebt ein Mann, der nicht Reliquien schone?

Der Trieb des vielgetheilten Waldgeheges

Ist Einer doch: Zum Licht der Kaiserkrone.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Die großen Knaben

 

Ich sah ein Riesenschulhaus im Gesichte,

Darin Germaniens Völker in der Runde

Voll Wißbegier: Sie halten deutsche Stunde

Und am Katheder steht Frau Weltgeschichte,

 

Die jedes ernstlich fraget: Nun berichte,

Was lerntest du aus unsrer Vorzeit Kunde,

Was that dein Fleiß, daß nicht die ungesunde

Schulferienzeit dir Herz und Kopf vernichte?

 

Da rühmen sie: Historisch war die Feier

Bei Thierschau- Denkmal- Turn- und Sänger-Festen.

Dies Zwillingspärchen spielte Schmerzensschreier,

 

Wir übten uns: Wer schimpft den Bund am besten?

Das Studium der Helden und Befreier

Nur Einer trieb es – unter Lorbeerästen.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Mainlinie

 

O fürchtet Nichts, Ihr, deren Herzen schlagen

Für Document und Pergament voll Treue,

Ja, heilig halten in Mainwasserscheue

Verträge mehr, denn brüderlich Vertragen!

 

Mit Staub und Motten theilet dies Behagen

Und des Gesetzes Buchstab Euch erfreue;

Nur uns, vertieft in Arbeit, in stets neue,

Der Geist soll uns von deutscher Hoffnung sagen,

 

Der Geist, der frei macht, Geist voll Kraft und Liebe,

Der gern auch pfleget abgewandte Triebe,

Doch Blitze sprüht dem nachbarlichen Diebe.

 

Sein Odem brennt die Flußverschanzung nieder,

Und Eines Herzens Blut durchrieselt wieder

Die lang von Selbstsucht unterbundnen Glieder.

 

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Unberechtigte Sonderbarkeiten

 

Des Namens Vielheit scheidet diese Lande,

Die Kraft des Lichtes bricht in dreißig Farben,

Vom Leid der Mutter Söhne Ruhm erwarben

Und Dein Triumph war Deines Bruders Schande.

 

Drum Alle kommt mit einem Unterpfande,

Die Stirne beuget mit des Haders Narben:

In unsrer Ernte reifen Eure Garben,

Kommt, schützet sie vor Sturm und Sonnenbrande.

 

Denn was vom Gift der Eifersucht zertheilet,

Das wird durch Arbeit und vereintes Hoffen

Im Schweiße nur des Angesichts geheilet.

 

Vergeßt den Schlag, der uns, wie Euch getroffen,

Und nimmer jetzt am Krankenbett verweilet:

Die Ehre läßt kein Hinterthürchen offen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Achtung für die Geladenen!

 

Zum Bau der Könige die Kärrner karren

Und Buben um das Werk der Männer lärmen

Oft ohrzerreißend. Aber drob sich härmen,

Das dünkt mich selber thöricht sein mit Narren.

 

Dies Achselzucken, vornehm Silbenschnarren,

Dies Gift aus aufgeblasenen Gedärmen,

Zeigt fauler Drohnen Art, wenn Bienen schwärmen,

Der Mann verschmäht des Hochmuths eitlen Sparren.

 

Darum du Volk der Arbeit und der Ehre,

Entsendest du, um Brüder herzurufen,

Die Botschaft deiner Thaten, o dann wehre

 

Der Prahlerei an deines Hauses Stufen,

Daß kein Schmarotzer statt der Gäste zehre

Vom Segensbrot, das deine Helden schufen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Eine Bildungsreise

 

Wie Archimedes seitab dieser Erde

Die Stätte sucht, von dort sie hoch zu heben,

So, Patrioten, einmal nur im Leben

Nach Außen geht, daß Euer Herz stark werde.

 

Einmal ertragt des Fremdlings Hohngeberde,

Versucht Bescheid dem dreisten Spott zu geben,

Wo Deutschland liegt? Und Scham und zornig Beben

Esticken Euch das Räuspern der Beschwerde.

 

Doch bleibt Ihr klein und wollt mit Zwar und Freilich

Der Heimath Ruhm und Kraft und Würde messen,

Dann zögert draußen, reiset nicht zu eilig.

 

Als warnend Schreckbild seid ihr unvergessen:

Den Fabelspruch vom Bündel hunderttheilig

Die Hottentotten lehret unterdessen.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Das neue Fragespiel

 

Und weil es heut des Nachbars Recht zu fragen

Und weil Ihr klug und wißbegierig seid,

Verehrte Gönner, kommt in fremdem Kleid

Und in das Ohr des Horchers laßt Euch sagen:

 

Wohl klagen wir, doch wahrlich eigne Klagen,

Wir leiden, aber unser ist dies Leid,

In Frieden kehrt, in Liebe sich der Streit,

Wenn gegen Euch die Herzen Sturmmarsch schlagen.

 

Und müßt Ihr Alles lernen bis zum Grund:

Die Mutter, der von Vielen unbegraben

Ein Sohn nur blieb, und dieses Einen Mund,

 

Die Freiheit und die blutigen Buchstaben

Des Ruhmes fraget, fragt den Glauben und –

Thuts Noth, das Schwert! Ihr werdet Antwort baben.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Der Mann

 

Welch kühnes Werk, für Deutschland Saaten säen!

Dies that ein Mann, und Parlament und Gassen

Und Schule, Haus und wo Festredner prassen,

Ja, Zwietracht selber eins wird, ihn zu schmähen.

 

Er aber lächelt, seine Blicke spähen,

Sein Arm greift aus zum Streiten, Siegen, Fassen:

Und plötzlich ihn anstaunen Lieb und Hassen,

Und Dank und Ehrfurcht ihn, den Koryphäen.

 

Und Neugier drängt in diese deutsche Einheit:

Gevatter Schneider mißt nach ihm die Schöße,

Indessen er voll selbstvergeßner Reinheit

 

Sorglos, ob Feinden er sein Haupt entblöße,

Weit überragt des Volkes Allgemeinheit

Um mehr denn Saul: um eines Willens Größe.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Das Kleinod im Grabe

 

Schimmernd im tiefen Blau der Ätherwellen,

Die satt von Licht um die Ruine fluthen,

Heiß brennend, wenn die feurigen Minuten

Der Dämmerung vom Wald zum Erker schwellen,

 

So träumt das Schloß zu Heidelberg. Und gellen

Auch Dampf und Pfeifen, die sich keuchend sputen:

Melodisch hier im Schatten, drin wir ruhten,

Erlabten uns der Vorzeit frische Quellen.

 

Und plötzlich horch: Wie eine Aeolsleier,

Wie Geistermahnung dröhnt mit dumpfem Klange

Der Glockenruf vom Gräberdom zu Speier:

 

„Die Krone schläft, ihr Erbherr zaudert lange!

Ein Patriarch, wie Kaiser Rudolf sei er,

Daß er zu Lehn all Lieb und Land empfange.“

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Sehet und hoffet!

 

Ihr, mit Erwägung schwerbeladne Männer,

Unglücksprophet und Busenfreund der Sorgen,

Die Bürde lasset und von Süd gen Morgen

Durchfliegt die Welt auf raschgezäumtem Renner.

 

Paris und Rom Euch stempeln zum Bekenner:

Die Ernte sei in deutscher Saat beborgen,

In uns das Ritterthum von St. Georgen.

Und in Millionen unsre Zahl der Nenner.

 

Wohl darum dräut man, darum halb wollüstig

Halb giftig klug sie tausend Ränke schmieden,

Und zärtlich warnt, wer boshaft, wer engbrüstig.

 

Doch Kraft erzeugt das Amt, von Gott beschieden.

Lobsinget Ihm! Die Schnitter werden rüstig

Und heimsen ein die Freiheit und den Frieden.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Das walte Gott!

 

Geredet ist für Deutschland manche Rede,

Mit That und Wort geschlagen wurden Schlachten,

Viel bittern Schweiß und treues Herzblut brachten

Ihm Helden dar in unfruchtbarer Fehde.

 

Und stets war Thorheit, süße Thorheit jede

Der Hoffnungen, die unsre Gluth entfachten:

Die Knaben sangen und die Männer lachten,

Wie über Fabeln aus dem Buch Vellede.

 

im Schooß der Arche träumten wir und harrten

Des Kaiserraben mit dem Friedenslaube,

Doch alle Stunden alle Träume narrten.

 

Jetzt endlich horch! Jetzt naht die heilige Taube:

Ihr mit dem Banner, das wir längst verscharrten,

Entgegenschreitet rücksichtsloser Glaube.